Könnte ich wählen zwischen einer Zahnwurzelbehandlung und dem Erwerb neuen Schuhwerks für den Nachwuchs, ich wäre leichten Herzens zweimal im Jahr unterwegs zum Dentist meines Vertrauens. Leider lässt einem das Leben nicht immer eine Wahl.
Herbst 2017 – ich bewege mich im Spannungsumfeld zwischen benötigter Schuhgröße und Angebot des Marktes, bzw. dem, was der Markt für ein Angebot hält. Wir haben zwei mit den Geschlechterklischees perfekt korrespondiere Kinder. Der Erstgeborene ist zufrieden wenn alles wetterentsprechend ausreichend bedeckt ist, beim Nestzwerg ist es etwas diffiziler… Wir haben bereits 2 größere Schuhcenter, etwas außerhalb gelegen, in Eigenregie durchkämmt und sind nun auf dem Weg in die Innenstadt mit Beratung durch Fachpersonal.
Es gilt 2 Paar Herbst-/Winterschuhe zu erwerben – für einen Jungen und ein Mädchen. Mit einem Erfolgserlebnis im Rücken erscheint mir die 2. Aufgabe leichter – wir versuchen uns also zuerst am einfachen Fall: Winterschuhe für einen 11-jährigen mit leichter Schweißfußneigung in Größe 42. Meine Wünsche: halbhoher Stiefel für schmalen Fuß, nicht zu dick gefüttert, extrem wasserfest, robust, Farbe fast egal.
Die Verkäuferin in der Kinderschuhabteilung zeigt aufs Regalbrett oben rechts. Die drei Schuhpaare sind mit einem Blick in Summe und Aussehen erfasst – das ist altersgerecht würde der Kinderarzt sagen. Der Erstgeborene, die Verkäuferin und ich schauen uns an. Wer verliert zuerst die Nerven? Die Verkäuferin knickt ein, zuckt entschuldigend mit den Schultern und beginnt schulungskonform die Vorzüge der 3 Bewerber vorzutragen: wasserfest, richtige Größe, nicht pink oder lila, kein Glitzer. Ich nicke und weise darauf hin, dass alle 3 Paare über ein nordpolexpeditiontaugliches Innenleben verfügen. Vermutlich geeignet für den Weg zur Schule, aber keinesfalls für die Wege in der – im Winter vermutlich beheizten – Schule, jedenfalls nicht über Stunden hinweg.
„Vielleicht hat die Herrenabteilung was Passendes“, ich vermute den Gedanken in meinem Kopf, aber tatsächlich scheint er auf meiner Stirn als Leuchtband durchzulaufen. „Die Schuhe in der Herrenabteilung sind alle zu breit und haben einen zu hohen Spann“ klärt mich die Herrin der 3 Stiefelpaare auf. Das hier zu besichtigende Angebot haben sie und ihre Kolleginnen sich bereits aus der Herrenabteilung raussuchen lassen, um überhaupt etwas in Größe 42 anbieten zu können. Was soll ich sagen, immerhin sind wir jetzt für den Fall gerüstet, dass es ein sehr, sehr kalter Winter wird mit Schnee von November bis März und in der Schule mehrere Wochen die Heizanlage defekt ist. Für alle anderen Szenarien werden wir noch mal woanders vorsprechen müssen.
Schon etwas entkräftet und verschwitzt widme ich mich nun Aufgabe 2: Mädchenstiefel leicht gefüttert (sie werden jetzt schon benötigt, weil alles andere nicht mehr passt), Größe 36, wasser- und abriebfest, halbhoher Schaft, Farbwünsche differieren zwischen der zukünftigen Trägerin und mir, aber Einkauf eins hat mich ausgesprochen kompromissbereit gestimmt.
Ich sondiere das Angebot. Wer bitte entwirft Schuhe für 8-jährige mit Absatz? Wo kommt dieser ganze Glitter und Flitter her und warum gibt es auch hier nur expeditionstaugliches? Wir probieren etliches zu großes, zu breites, zu glitzeriges (meine Kompromissbereitschaft ist doch endlich), zu erwachsenes (um es mal positiv zu formulieren) und machen dann vom Vorschlag der Verkäuferin Gebrauch: „Versuchen Sie es doch mal in einem anderen Geschäft“.
Der Erstgeborene ist nicht mehr in der Lage, in einem weiteren Laden die Auslage zu sondieren und verschwindet in einem Buchladen. Ich bin nicht mehr in der Lage, dieses zu verhindern und ziehe mit einem Kind weiter. Letztendlich gehen wir mit einem Paar Stiefeln nach Hause – für meinen Geschmack etwas zu hoher Schaft und etwas zu hoher Preis, aber ansonsten immerhin konsensfähig. Aber es fehlt ja noch ein Paar Größe 36 für den nach Kauf eins unabdingbaren extrem kalten Winter, mit Schnee von November bis März. Die Heizung in der Grundschule muss glücklicherweise nicht manipuliert werden, dort tragen die Kinder in den Innenräumen noch Hausschuhe.